Kapitel XXII
Ein langer Weg nach Hause
„Oh
mein Gott! Was sollen wir tun? Christian?”
„Seien
Sie still! Ich muss mich konzentrieren!” sage ich entschieden zu Ros.
„Ich
habe Angst!“
„Ros!“
warne ich sie und die einzige Antwort, die ich von ihr bekomme, ist ein leises
Wimmern. Ihre Augen sind weit aufgerissen und starr. Sie zittert, als wäre sie
soeben nur in Unterwäsche in der Arktis unterwegs. Ihre Lippen bewegen sich.
Jedoch dringt kein Laut hervor. Sie betet.
Es
ist schwer Charlie Tango zu steuern, wenn das Heck außer Kontrolle ist. Das
Fenestron System im Heck des EC135 soll für eine bessere Stabilisierung im
Vergleich zu anderen Helikoptern seiner Klasse sorgen. Um Himmels Willen,
dieser Helikopter wird selbst für extreme Rettungssituationen in ganz Europa
verwendet! Dieser Helikopter bietet Platz für sieben Passagiere und ist für
circa 3 Tonnen ausgelastet! Da nur Ros und ich im Moment an Board sind und
keine schwere Last, sollte dies doch positiv in unserem momentanen Dilemma auswirken.
„Christian! Ich
will nicht sterben! Ich will nach Hause zu Gwen! Bitte!“ kreischt sie und
verliert die Kontrolle. Rauch dringt aus der Klimaanlage. Zügig schalte ich sie
aus, um zu verhindern, dass wir noch mehr Rauch einatmen.
Ich will auch
nach Hause zu Anastasia! Rasch tätschele ich meine Jacke an der Stelle, an der
ich die kleine Geschenkbox trage. Diese kleine Box in meiner Tasche ist der
einzige Rettungsanker, den ich im Moment habe, nah an meinem Herzen – die
einzige Verbindung zu Anastasia. Der Gedanke sie nicht mehr zu halten, zu
küssen, sie nie mehr zu lieben ist qualvoll, unerträglich, herzzerreißend. Und
was noch schlimmer ist, ist die Vorstellung, dass jemand anderes meinen Platz
übernehmen wird, sie halten und trösten wird, wenn ich weg bin! Er wird ihr
beruhigende Worte ins Ohr flüstern, ihre Hand halten, um sie zu besänftigen und
sie umarmen. Das ist die schlimmste Qual, die ich jemals erdulden musste!
„KEINE VERDAMMTE
CHANCE!“ schreie ich und Ros springt auf ihrem Sitz. Ich bin entschlossener
denn je, diesen Vogel zu landen. Zwischen all den blickenden Lichtern und den
summenden Alarmsignalen blicke ich auf den Höhenmesser. Gott sei Dank ist er
immer noch sehr exakt! Ich konzentriere mich völlig auf mein Instrumentenbrett,
um abzuschätzen, was außer Betrieb ist und was ich mit den mir verbleibenden
Tools anstellen kann. Ich versuche mir mein Notfalltraining wieder in Gedanken
zu rufen.
Die zwei
Radarhöhenmesser befinden sich unter dem Heckausleger.
Es wird für präzise Lösungsansätze verwendet. Das Feuer im Heck brennt noch
immer. Ich weiß nicht, in welchem Teil das Feuer brennt, aber ich nehme an,
dass es an der Hubschraube ist. Unser rettendes Element könnten die Blätter im
Heck sein, die unregelmäßig eingebaut sind und mir somit ein paar Minuten Zeit zusätzlich
verschaffen. Ich muss meine Aufmerksamkeit umlenken. Ich will nicht in Panik
ausbrechen! Wenn ich das tue, könnte es tödlich für uns beide enden. Und ich
bin der einzige, der dieses Ding fliegen kann! Wie soll ich mich konzentrieren
… Wie soll ich mich konzentrieren … Konzentrieren!
„Ros!“
Ihre Antwort
ist ein zusammenhangloses Wimmern.
„Ros! Fragen
Sie mich etwas!“
„Was?“
„Konzentrieren
Sie sich! Fragen Sie mich irgendeine beschissene Frage!“
„Sind Sie
verrückt geworden?“
„Nein, noch nicht!
Ich muss mich konzentrieren und Sie auch! Fragen Sie mich etwas … frag mich …”
Ich zerbreche mir den Kopf und plötzlich geht mir ein Licht auf, „Fragen Sie
mich, warum die Rotorblätter unregelmäßig in der
Hubschraube platziert sind!“
„Was?”
„Wollen Sie
zurück zu Gwen?“
„J ….jj…ja“
„Dann MACHEN
SIE es verdammt noch mal!“ sage ich und sie springt auf ihrem Sitz. Sie sieht
mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Ich muss mich konzentrieren! Sie
muss sich konzentrieren! Mein Gehirn funktioniert besser, wenn ich mehrere
Aufgaben gleichzeitig erledige! Ich muss diese Panik loswerden.
„Mr. Grey,
warum …“, sie hält inne und wimmert. Sie schnieft, „Warum sind die Blätter im …
ähm …“
„In der
Hubschraube!“
„… in der
Hubschraube unregelmäßig platziert?“
„Gute Frage,
Ros!“ sage ich und sie schenkt mir ein weinerliches ‚Was zur Hölle‘-Lächeln.
„Diese
deutschen Ingenieure sind so verdammt gescheit!“ sage ich und ziehe am
Joystick, um an Höhe zu gewinnen. Mit verzerrter Stimme füge ich hinzu, „Sie
haben sich gedacht, dass die Blätter, wenn man sie gleichmäßig anordnet, eine
harmonische Vibration oder Blattsteigung kreieren, die sehr penetrierend ist“,
sage ich und versuche Geschwindigkeit aufzunehmen, obwohl die verdammten
Triebwerke ausgefallen sind. Charlie Tango zittert als hätte er die Grippe!
„Sie haben
festgestellt, dass die Blätter einen Verbindungspunkt herstellen, wenn man die
Distanz auflockert – Es bringt die Resonanz zum Schweigen. Die Auslöschung
dieses Geräusches könnte heute das entscheidende Element sein, das unser Leben
rettet!“ sage ich mit schriller, rasselnder Stimme, da das Rütteln des
Helikopters meine Sprache beeinflusst.
Hoffnung blitzt
in ihren Augen auf.
Uprising
by Muse
„Wirklich, wie
denn?“ sagt sie schniefend.
„Selbst wenn
ich ein paar Blätter verliere, sollten mir die restlichen Blätter dabei helfen,
den Helikopter bis zur Landung zu stabilisieren. Da die Blätter vom Heck
ummantelt sind, habe ich eine zusätzliche Stabilisierung und zudem werden sie
bei einem möglichen Aufprall nicht so leicht beschädigt“, sage ich rasch und zeige zur Decke, „Sie sind nicht
so lang wie andere Helikopter Blätter, die die erhöhte Interferenz innerhalb
des Terrain auflösen. Sie wissen schon, wie wenn man Bäume berührt oder
ähnliche Hindernisse.“ Natürlich ist das Wunschdenken, angenommen dass das Heck
nicht wegbricht. Ich höre Ros schroffen Atem über die Kopfhörer.
Ich bleibe still und
versuche mich zu konzentrieren, schnell zu konzentrieren.
Okay! Ich kann es schaffen!
Ich kann es schaffen! Ich will zu meiner großen Liebe zurückkehren! Ich will Anastasia wieder
sehen!
Break the Spell
by Daughty
Der Höhenmesser zeigt 50
Meter an. Wir steigen immer schneller herab und drehen uns sehr langsam!
Verdammt! Verdammt! Ich muss dem Helikopter mit Hilfe des vertikalen
Stabilisators seitlichen Auftrieb verschaffen. Das sollte den Helikopter nach
rechts drehen. Ich habe verdammten Rückenwind,
der nicht gerade hilfreich ist. Und wenn ich die Drehung stabilisieren und den
Auftrieb nutzen kann, gibt es vielleicht nur einen minimalen Aufprall!
„Mr.
Grey? Christian!“ sagt Ros panisch.
„Ros“, sage ich und
schlucke. „Hören Sie zu. Ich muss dafür sorgen, dass wir geradeaus fliegen, um
die Maschine in Stromlinienform zu bringen.
„Oh, ok …”, sagt sie, während sie sich heftig
die Augen mit ihrem Handrücken abwischt.
„Es ist ein
ziemlich kurzes Flugzeug. Im Heck eines Helikopters wird meist ein großer
vertikaler Stabilisator eingebaut, um einen beträchtlichen seitlichen Auftrieb
zu erzeugen und das Fluggerät während des Fluges zu stabilisieren“, sage ich zu ihr und ich könnte genauso gut Schwedisch
mit ihr sprechen. Sie versteht natürlich kein Wort, von dem, was ich sage. Aber
es beschäftigt sie und mich selbst und hält mich davon ab, vom Kurs abzukommen.
Es hilft mir dabei, mich auf den bevorstehenden Aufprall zu konzentrieren.
„Die Ingenieure haben sich Gedanken gemacht, was
passiert, wenn der Fenestron bei einer Katastrophe vollständig ausfällt.“ Als
sie das Wort ‚Katastrophe‘ hört, stößt sie einen gequälten Laut aus. „Die
Ingenieure waren der Ansicht, dass man theoretisch in der Lage sein müsste, den
Helikopter normal weiter fliegen zu können, wenn man eine Geschwindigkeit von
130 km/h aufrecht hält. So sollte man immer noch die volle Kontrolle über den
Helikopter haben.“
„Wirklich? Was
ist ein Fenestron?” fragt sie und versucht hoffnungsvoll zu bleiben, ihren
Geist zu beschäftigen.
„Das ist das
Heckrotorsystem.“
„Aber wir
schweben. Können Sie die 36 m/S erreichen, um die Geschwindigkeit zu halten,
weil Sie gesagt haben …“, sagt sie mit feuchten Augen, „ … Sie haben gesagt,
dass Ihre beiden verdammten Triebwerke ausgefallen sind!“
Ich halte mich
am Joystick fest, als würde daran unser Leben abhängen; naja genau genommen tut
es das wirklich … Der Helikopter sollte mit zwei Autopiloten ausgestattet sein.
Wenn der erste ausfällt, tritt der zweite automatisch in Kraft. Wunderschön.
Aber keiner hat verdammt noch mal daran gedacht, dass beide Triebwerke beim
Schweben und geringer Geschwindigkeit ausfallen. Also muss ich meine
Segelfertigkeiten anwenden, um diesen Stein aus 40 Metern sicher herunter zu
bringen! Es sei denn ich schaffe es, einen Druck nach vorn zu erzeugen.
„Die
Innenradien an beiden Seiten des Flugzeuges sind dafür gedacht, mich bei der
Stabilisierung von Charlie Tango zu unterstützen und dabei zu helfen, bei
normaler Geschwindigkeit, die bei etwa 225 bis 230 km/h liegt, gerade zu fliegen.“
„Verdammt,
großartig, Mr. Grey! Aber im Moment scheint Ihr Vogel seine Flügel verloren zu
haben!“
Ich blicke auf
die Wetteranzeige, um den Wind zu überprüfen. Ich drücke den Knopf für das
digitale Radar. Es gestattet mir, die digitale Karte zu zeigen, sodass ich mich
in die richtige Richtung drehen kann, um den Rückenwind zu unserem Vorteil zu
nutzen. Mein Bodennäherungswarnsystem bleibt die ganze Zeit über angeschaltet.
Das ist ein verbessertes Warnsystem, um den Piloten zu informieren, wenn das Flugzeug
sich in unmittelbarer Gefahr befindet, gegen den Boden oder ein Hindernis zu
fliegen. Es ist eine Gelände Datenbank. Im Moment suche ich nach einem Ort, an
dem ich einen minimalen Aufprall beim Landen haben werde und ich habe nicht die
Wahl.
(Gelände)
„Ja und nein,
Ros! Jedes Triebwerk steuert das Getriebe und den Heckrotor. In anderen
Helikoptern gibt es einen abweichenden Aufbau des Heckrotors. Dieser Helikopter
hat eine ganz wichtige Besonderheit. Durch den Luftstrom im Hauptrotor treibt
das Getriebe selbst dann noch den Heckrotor an, wenn beide Triebwerke
ausfallen!“ sage ich. Meine Zähne klappern durch das Rütteln von Charlie Tango.
„Verdammt!
Halleluja! Heute ist der Tag gekommen, an dem wir es testen werden! Beide
Triebwerke sind ausgefallen und zudem ist ein Feuer im Heck ausgebrochen! Ihr
Vogel schüttelt und bebt wie bei einem Erdbeben in Los Angeles! Wenn Sie uns
trotz dieser Probleme landen, werden ich diesen verdammten Ingenieuren
persönlich meinen Dank aussprechen, dass sie so vorausschauend in ihrer Planung
waren!“
Das gefällt mir
schon besser. Mit Wut kann ich umgehen. Nur nicht mit Nervosität, Aufregung,
Kontrollverlust und Gekreische, wenn Charlie Tango kurz davor ist, abzustürzen!
Ich muss die Kontrolle über diesen Flieger bewahren und komischerweise hilf mir
Ros‘ Wut dabei, mich zu konzentrieren.
„Also, Ros,
beide Triebwerke steuern das Getriebe, das Getriebe treibt den Hauptrotor und
den Heckrotor, und ein Triebwerk würde auch noch beide Aufgaben übernehmen.
Selbst ohne die Triebwerke wird das Getriebe weiterlaufen. In einigen
Helikoptern hört der Heckrotor auf sich zu drehen, wenn das Triebwerk ausfällt.
Aber nicht in diesem Vogel! Es gibt einen Grund, warum ich 4,6 Millionen
Dollars dafür bezahlt habe!“ Es wird ausschlaggebend für mich sein, wie ich
diesen Helikopter bald landen werde, ohne auf den verdammten Boden zu crashen!
Ich muss ihn in der Vorwärtsbewegung halten und den Rumpf des Helikopters seine
Arbeit verrichten lassen.
„Ich hoffe
wirklich, dass sie diese Theorien auch getestet haben, Boss! Wenn wir es nicht
sicher auf den Boden zurück schaffen, dann haben Sie verdammt noch mal viel zu
viel für dieses Hubschrauber bezahlt! Ich will zurück zu Gwen! Ich sage ja
nicht, dass wir es nicht schaffen, aber damit Sie es wissen, Sie waren der
verdammt beste Boss, den ich je hatte. Sie sind ein Sklaventreiber, aber immer
fair. Sie sind voll in Ordnung, Boss!“ sagt sie schniefend mit ihrer kratzigen
Stimme.
„Sie müssen
wirklich mit dem Rauchen aufhören, Ros!“
„Wirklich?
Jetzt sagen Sie mir, dass ich mit dem Rauchen aufhören soll? Ich würde am
liebsten eine ganze Packung rauchen, wenn wir gelandet sind und ich habe nicht
einmal eine einzige dabei! Haben Sie mir nicht etwas Nettes zu sagen, jetzt wo
wir sterben werden?“ fragt sie mit feuchten Augen.
„Wir werden
nicht sterben!“
„Und woher
wollen Sie das verdammt noch mal wissen?“
„Weil ich eine
Freundin habe, der ich einen Heiratsantrag gemacht habe! Ich will nicht, dass
irgendein anderer Scheißkerl meinen Platz einnimmt, sie tröstet, ihre Hand hält
und sie umarmt, weil ich heute gestorben bin! Ich will ihre Antwort hören! Ich
möchte hören, wie sie ‚Ja‘ zu mir sagt! Ich will nicht, dass José oder Ethan
meine Freundin fickt, nur weil ich nicht mehr da bin! Ich liebe sie! Sie ist meine
Frau!“
„Wow! Sie sind
wirklich nicht schwul, Boss!“
„Danke! Ihr
Gaydar ist zurück im Geschäft …”, sage ich und sie schenkt mir ein weinerliches
Lächeln.
Sie murmelt
irgendeinen anderen Scheiß, aber ich blende Ros kratzige Stimme in meinem Kopf
aus. Ich will zurück zu Anastasia! Ich sehe ihr wunderschönes Gesicht, die
Intensität ihrer blauen Augen, wenn sie mich ansieht und spüre ihre Arme, wenn
sie mich hält. Ich will zurück in ihre Arme, will sie umarmen und sie küssen.
Ich möchte jetzt nicht sterben. Ich möchte, dass sie meinem Heiratsantrag
zustimmt. Ich brauche es … Ich muss einfach zu ihr zurück.
Ich
beschleunige.
„Ros, halten
Sie sich fest! Wir werden mit etwa 130 Km/h aufprallen. Ich werde in den
letzten Sekunden versuchen, die Geschwindigkeit zu kontrollieren. Es wird
ausschlaggebend sein, die Geschwindigkeit hochzuhalten bis wir kurz über dem
Boden sind, da die Triebwerke nicht funktionieren. Dann werde ich die
Geschwindigkeit völlig drosseln!“
Ros sieht
fassungslos aus.
„Ros!“ schreie
ich entschlossen und sie springt in ihrem Sitz, als wäre sie gerade in ihren
Körper zurückgekehrt.
„Ja?“ wimmert
sie.
„Sehen Sie mich
an! Wir werden nicht sterben! Wir gehen beide nach Hause zurück!” sage ich und
halte die Geschwindigkeit hoch. Mit Hilfe des EGPWS untersuche ich das Gelände.
Ich muss so nah wie möglich am Boden sein. Ich sehe es vor uns und drehe den
Helikopter, um ihn zu stabilisieren. Dabei nutze ich den vertikalen
Stabilisator. Ich versuche den Wind dabei zu nutzen, die richtige Richtung
einzuschlagen.
„15 Meter, Ros!
Wir steigen schnell herab.“
(Silver Lake)
Ich nutze den
horizontalen Stabilisator und das Heckleitwerk und nutze den Wind, um uns durch
die verbliebene Kraft des Getriebes treiben zu lassen. Ich versuche den Bäumen
auszuweichen und finde eine relativ ebene Fläche mit minimalem Aufprall. Diese
Stelle befindet sich knapp neben dem Sumpfgebiet. Ein Stück Land frei von
Schutt, Bäumen oder großen Steinen. Der
verdammte Drehmoment hat auch sein Limit erreicht. Die Anzeige leuchtet auf. Um
Himmels Willen! Natürlich ist sie am Limit, ich habe keine Motorleistung! Der
Haupt- und der Heckrotor laufen nur noch über das Getriebe, das nebenbei
gesagt, auch in Flammen steht, wie meine beschissene Seele!
„5 Meter!“ schreie ich, um
Ros vorzuwarnen. Sie umklammert die Seiten ihres Sitzes.
Ich drossele die
Geschwindigkeit komplett und überlasse dem Motor die Aufgabe uns mit seiner
verbliebenen Leistung nach unten zu bringen. Ich nutze den Wind, um den
Stabilisatoren dabei zu helfen uns in einem Stück auf den Boden zu bringen.
„2 Meter bis zum Aufprall!“
„Oh, bitte Gott!“ schreit
Ros.
„Ich liebe dich, Ana! Ich
werde dich immer lieben!“ flüstere ich. Ich merke, wie der Hauptrotor zum
Stehen kommt und wir schlagen auf dem Boden auf wie bei einem Erdbeben mit 6.0
auf der Richterskala. Wir rutschen über das Gras und Charlie Tango kippt auf
seine Rechte. Ich höre, wie die Rotorblätter auf etwas treffen - ein brechendes
Geräusch. Aber der Aufprall der Rotorblätter hilft dem Helikopter nach vorne zu
kippen und erzeugt eine gleichmäßige und entgegengesetzte Kraft, um den
Helikopter aufzurichten. Schließlich kommt der Helikopter zum Stehen. Er kippt
ein letztes Mal nach vorn, aber das Gewicht des Hecks zieht die Nase nach oben.
Wir werden während dem Aufprall einige Male auf unseren Sitzen kräftig
durchgeschüttelt. Mir zieht es die Luft aus den Lungen. Ich kann für eine
Minute nicht atmen, als hätte man meine Lungen plattgedrückt wie Pfannkuchen!
Ich weiß nicht, ob meine Rippen geprellt oder gebrochen sind. Meine Brust tut
so sehr weh, als hätte mich eine Armee von Claude Bastilles zusammengeschlagen!
Mein Hals ist lädiert, weil der Gurt hineingeschnitten hat. Eine kleine
Erhöhung im Gelände stockt unsere Bewegungen und das Heckleitwerk berührt den Boden,
während die Nase hoch in die Luft zeigt. Ich versuche flach zu atmen. Es tut
weh.
„Ros! Geht es dir gut?“
frage ich, nachdem sich meine Lungen endlich mit Luft gefüllt haben. Sie hat
eine blutige Nase und Kratzer an ihren Armen. Sie ist aufgewühlt und außer
Atem, aber am Leben. Gott sei Dank! Sie sieht mich mit entsetzten Augen an; ihr
Gesicht hat sich ihrer Haarfarbe angepasst. Blut läuft aus ihrer Nase und
tropft auf ihre Bluse. Ohne viel Federlesen wischt sie es mit ihrem Handrücken
ab und schmiert sich dabei das Gesicht voll.
„Oh mein Gott, Christian!
Ich habe gedacht, wir werden sterben! Ich dachte …”, sagt sie, erstickt fast an
ihren Worten und beginnt zu schluchzen.
Ich schalte die gesamte
Elektronik aus, um zu verhindern, dass sich das Feuer im gesamten Helikopter
ausbreitet.
„Ros, schnallen Sie sich
ab. Wir müssen hier raus!“
Ich schnalle mich schnell
ab und springe aus Charlie Tango heraus. Ich gehe zum Heck und öffne die
Hecktüren auf der Hinterseite des Helikopters. Ich schnappe mir den eingebauten
Feuerlöscher und lösche zügig das Feuer im Heckrotor. Mein Herz schlägt mir bis
zum Hals! Meine Hände zittern. Die letzten acht Minuten waren die längsten in
meinem Leben. In den letzten paar Sekunden habe ich gedacht, ich sehe Anastasia
nie wieder. Ich dachte, ich wäre nicht mehr von dieser Welt und die Vorstellung
nicht mehr im selben Universum wie sie zu sein, war der fürchterlichste
Schmerz, den ich je gefühlt habe …
Ros stolpert aus Charlie
Tango und landet im Dreck auf der Erde. Bleistiftrock und 10 Zentimeter Jimmy
Choo High Heels sind nicht gerade für die Natur bestimmt. Ungeschickt tappst
sie auf mich zu und ihre High Heels sinken immer wieder in die Erde ein. Mit
entsetzten Augen blickt sie auf den Rauch, der aus dem Heck hervorkommt und
wendet ihren Blick dem Rest von Charlie Tango zu. Sie erblickt die zerbrochenen
Rotorblätter, den schmalen Krater, den Charlie Tango geschaffen hat, wie das
Heck den Boden berührt und das bisschen Rauch, dass nun, da das Feuer im Heck
gelöscht ist, hervordringt.
„Mr. Grey! Sie sind
wirklich ein verdammt talentierter Pilot!“ sagt sie und ehe ich mich versehe,
schlingt sie die Arme um meinen Hals. Sie umarmt mich und ich stehe peinlich
berührt mit dem nun leeren Feuerlöscher in meiner rechten Hand da.
Mit einer Hand tätschele
ich ihren Rücken, ehe ich mich am Hals kratze und erwägend sage, „Also, ich
hatte Dinner Pläne für heute Abend. Wenn wir jetzt aufbrechen, schaffe ich es
sicherlich noch pünktlich.“ Sie lässt mich los und sieht mich kopfschüttelnd an.
„Ich hatte wirklich Angst.
In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie solche Angst und Sie waren wie immer
voll bei der Sache, auch wenn es ziemlich verrückt war. Sie haben es geschafft,
dass ich mich konzentriere, Mr. Grey. Wissen Sie, was ich für einen krassen
Gedanken kurz vor dem Aufprall hatte?“
„Sagen Sie es schon …“
„Vor kurzem habe ich so
einen belanglosen Artikel über die schlimmsten Ängste der Menschen gelesen.
Wissen Sie, wie sie so viele Menschen befragt haben und solche Zahlen
hervorgebracht haben. Wissen Sie, was die schlimmsten Ängste der Menschen
sind?“
„Sterben?“ frage ich
schaudernd.
„Nein! Das hätte ich auch
gedacht. Aber es war das Sprechen in der Öffentlichkeit! Sterben steht nur an
zweiter Stelle. Ich habe es auch immer gehasst, vor einer großen Menge zu
sprechen. Aber in den letzten Minuten habe ich meine Meinung geändert.“
Ich sehe Ros ausdruckslos
an. „Also Ros, obwohl es nicht meine Lieblingsbeschäftigung ist, vor einer
großen Menge zu sprechen; würde ich doch lieber Ihre Trauerrede halten, als
jeden Tag in einem Sarg zu liegen.“
Ros sieht mich mit
zusammengekniffenen Augen an und wirft mir einen verächtlichen Blick zu. Aber
dann bricht sie in erlösendes Gelächter aus und sagt, „Dito, Boss!“ und bringt
mich damit auch zum Lachen.
„Ich habe hier einen Erste
Hilfe Koffer. Vielleicht wollen Sie sich das Blut vom Gesicht wischen“, sage
ich leise und deute mit einem Nicken auf ihren Kopf. Sie nickt und ich reiche
ihr die Verpackung. Mit den sterilen Tüchern reinigt sie ihre Wunden.
„Wir müssen Hilfe rufen,
Mr. Grey“, sagt Ros, nachdem sie sich halbwegs zusammengeflickt hat.
„Wir können den Funk nicht
benutzen. Der Aufprall hat fast alles zerlegt und viele Verbindungen sind
zerbrochen. Ich könnte den Funk anschalten und ein erneutes Feuer riskieren,
aber wir haben keinen Feuerlöscher mehr. Also ist der Funk keine Option.“
„Ich habe mein Handy, aber
wir können nicht mal 911 anrufen, da ich keinen Empfang habe“, sagt sie und
schneidet eine Grimasse. Nein … Verdammt! Wir können nicht so lange warten, bis
jemand bemerkt, dass wir verschwunden sind. Wir sind mitten in der Pampa, weit
weg von der nächsten Straße. Es könnte Stunden oder Tage dauern bis sie uns
finden! Und ich muss zurück nach Seattle oder dieser Scheißkerl José wird sich über
meine Freundin hermachen wie die Ameisen!
„Verdammt! Ich habe auch
keinen Empfang!“ sage ich verärgert.
„Warten wir? Taylor weiß
schließlich, dass wir auf dem Rückweg sein sollten.“
„Wir können nicht warten,
Ros! Es wird womöglich ewig dauern, bis sie uns finden. Zudem wird es dann
bereits dunkel sein. Ich bin mir sicher, dass Sie die Nacht nicht in der
Wildnis verbringen wollen. Außerdem haben wir nichts zu essen und nur einen
Liter Wasser für uns beide. Es wird dauern, bis sie uns finden. Wir wissen
nicht, wie das Wetter sich entwickelt, ob es regnet. Ich will dem Wetter nicht
ausgesetzt sein. Vor allem nicht, wenn ich sehe, wie Charlie Tango so im 45°
Winkel daliegt.“
„Mr.
Grey! Sie sind Christian Grey! Glauben
Sie wirklich, dass es den ganzen Tag und die ganze Nacht dauern wird, bis man
Sie findet? Sie können einen Helikopter aussenden, um nach uns zu suchen …“
„Das setzt voraus, dass sie
wissen, dass wir verschwunden sind. Das werden sie erst in ein paar Stunden
wissen und es wird dunkel sein. In der Dunkelheit wird es für jeden fast
unmöglich sein uns zu finden. Zudem werden wir unsere Gesichter morgen überall
in den Nachrichten sehen. Solche Publicity möchte ich nicht. Wie viel Akku
haben Sie noch auf Ihrem Handy?“
„Etwa 75%.”
„Meiner liegt bei fast 90.
Zuerst nehmen wir Ihr Handy. Das GPS wird uns zur nächsten Straße führen und
wir werden einen Fahrer überzeugen, uns zurück nach Seattle zu fahren. Wie viel
Geld haben Sie dabei?“
Sie zieht ihr Portemonnaie
hervor und zählt. „Ich habe zweihundertachtundsiebzig Dollars bei mir.“
Ich werfe ebenfalls einen
Blick in meine Geldbörse und sehe, dass ich dreihundertfünfundzwanzig Dollars
bei mir habe. Okay, insgesamt haben wir also 603$. Damit sollten wir jemanden
bestechen können uns zurück nach Seattle zu fahren. Vorausgesetzt wird finden
die Straße.
„Nehme Sie nur Ihre Tasche und
Ihr Handy. Wir laufen. Wenn wir bleiben, werden sich unsere Akkus entleeren und
wir haben keine Navigation. Im Moment können wir wenigstens das GPS nutzen, bis
die Batterien zur Neige gehen. Dann haben wir vielleicht schon die Straße
erreicht“, sage ich.
„Haben Sie etwas zu Essen,
Mr. Grey?“
„Nein“, sage ich und presse
meine Lippen aufeinander. Sehe ich aus wie ein Supermarkt? Ich habe nicht die
ganze Nacht geöffnet! Ich trage keine heimlichen Reserven mit mir herum.
Sie greift in ihre Tasche
und sagt, „Ich habe einen Schokoriegel. Ich schätze, den müssen wir uns teilen,
bis wir etwas gefunden haben.“
„Prima. Geben Sie mir Ihr
Handy“, sage ich und sie reicht es mir.
Ich schalte das GPS ein und
ermittele unsere Position auf der Karte.
(Silver Lake Map)
„Wir sind
hier“, sage ich und zeige auf die Karte. „Auf der südöstlichen Seite des Sees.
Wir müssen einen Highway finden, um ein Auto anzuhalten. Wir werden trampen oder
was auch immer wir tun müssen, damit uns jemand zurück nach Seattle bringt“,
sage ich und verfolge mit meinem Finger die Route.
„Die nächste
Hauptstraße ist der Sprit Lake Memorial Highway. Das ist also unser Ziel. Wir
werden einen Weg finden und nordwärts laufen, um den Sprit Lake Memorial
Highway zu erreichen“, sage ich. Sie blickt auf ihre fast ruinierten High Heels
herab und seufzt.
„Okay, Boss.
Gehen Sie vor“, antwortet sie.
******
Ich bin der
erste, der sich dazu bekennt, High Heels an einer Frau zu lieben, vor allem an
meiner Frau. Ich finde, dass es sehr sexy und feminin ist und ein Must Have in
jeder Garderobe einer Frau sein sollte. Das gilt genauso für Bleistiftröcke.
Sie haben etwas sehr weibliches. Er betont die weiblichen Rundungen perfekt und
formt ihren Körper. Aber im Moment würde ich Ros lieber in Flip Flops und einem
Kartoffelsack, als in diesen High Heels und dem Bleistiftrock sehen. Voller
Abneigung blicke ich sie an. Das hält uns unglaublich auf und ich will doch so
schnell wie möglich zu Anastasia zurück. Die Zeit tickt und wir laufen bereits
seit über drei Stunden! Das Wasser ist bereits leer und Ros jammert mir die
Ohren voll, wie sehr ihre Füße wehtun. Und dieses Schneckentempo frustriert
mich! Ihr Bleistiftrock ist eng und im Moment finde ich ihn nur noch lästig und
unpassend.
„Ehrlich Ros!
Ich bin kurz davor diese Schuhe in die nächste Ecke zu werfen! Sie halten uns
total auf. Ich würde auch meine Schuhe ausziehen, damit Sie sie tragen können.
Lassen Sie uns einfach schneller gehen! Da wir auf einer Pflasterstraße gehen,
werde ich solange in meinen Socken laufen, bis sie zerrissen sind.“
„Mr. Grey. Das sind 2500 Dollars Jimmy Choos!“ Was haben Frauen nur immer mit ihren Schuhen, selbst
in der ärgsten Not?
„Im Moment würde
ich sie nicht einmal kostenlos und von Mr. Choo persönlich haben wollen! Sie
halten uns auf!“
„Ich bin
überrascht, dass hier keine Autos langfahren. Lebt hier denn niemand?“
„Ich weiß es
nicht. Wir befinden uns nicht direkt auf dem Trampelpfad. Wir werden aber bald
am Highway sein“, sage ich und blicke auf ihre Schuhe und ihre geschwollenen
Füße. „Es dauert vielleicht noch eine Weile. Mein Angebot mit den Schuhen steht
immer noch.“
„In Ordnung!
Ich nehme Ihr Angebot an. Aber Sie dürfen meine Babys nicht wegwerfen! Ich
werde sie saubermachen. Ich hasse es, sie so voller Dreck und Staub zu sehen.“
Schließlich
halten wir an, ich ziehe meine Schuhe aus und Ros ihre Heels. Sie klopft den
Schmutz ab und summt leise, „Meine Babys, Mommy wird euch wieder sauber
machen!“
„Verdammt, Ros!
Ich möchte nicht hören, wie Sie mit Ihren Schuhen sprechen, als wären es
Puppen! Das passt nicht zu Ihrem knallharten Auftreten.“
„Mr. Grey,
wissen Sie wem ich mit diesen Babys alles in die Eier treten könnte?“ sagt sie
und reibt mit ihren Händen vorsichtig über das Wildleder ihrer Schuhe.
„Und nebenbei
sind sie Teil meiner Tarnung. Wenn ich die ganze Zeit auf meinem Besen reiten
würde, wären sie schon über alle Berge. Selbst Miss Frosty trägt die besten
High Heels. Erzählen Sie mir nicht, dass Ihre kleine Miss nicht auch ab und zu
Mal ein paar Heels anzieht!“ sagt sie grinsend.
Ich sehe sie
teilnahmslos an, mein Blick ist eisig. Kapitulierend hebt sie ihre Hände. Ich
gebe ihr meine Schuhe und sie zieht sie an. Ihre Füße schwimmen quasi darin.
„Oje, Mr. Grey!
Welche Schuhgröße haben Sie denn?“
„45”, antworte
ich rundheraus. Sie grinst, schüttelt ihren Kopf, sagt jedoch nichts.
Sie nimmt jeden
Schuh in eine Hand. Ihre Tasche hängt über ihrer Schulter. Ich halte ihr Handy
und führe uns zum Highway. Ich ziehe mein Jackett aus. Langsam beginne ich zu
schwitzen. Ihr Handy Akku ist bereits im roten Bereich. Rasch präge ich mir die
Straße und die Richtung ein, in die wir gehen müssen, bevor die Batterie
vollständig leer ist. Meins ist auch nicht besser. Immer noch kein Signal. Das
ist der schlimmste Tag meines Lebens! Taylor sollte heute eigentlich seine
Tochter besuchen, nachdem er mich abgesetzt hat. Seine Ex hat ihm erzählt, dass
ihre Tochter wohl eine Blinddarmentzündung hat. Anscheinend sind auch aller
schlechten Dinge drei. Charlies Tangos Absturz, Taylors Tochter und ich frage
mich, was wohl das dritte sein könnte. José!
Meine
Entschlossenheit ist stärker denn je. Wir sind beide durchgeschwitzt, staubig,
dreckig und schlammig. Die Sonne senkt sich. Sie wird bald untergehen. Bis
dahin müssen wir es zum Highway schaffen. Ich will einfach nur nach Hause zu
Anastasia und mich in ihr verlieren. Ich muss sie sehen. Ich muss mich lebendig
fühlen und es gibt nichts, dass mich so lebendig fühlen lässt wie Anastasia.
Ich möchte nach Hause gehen, sie ausstrecken und lieben, bis sie nach meinem
Schwanz bettelt. Ich will uns an unsere Grenzen treiben und sie soll mich
halten, bis ich meine Seele in mir fühle!
„Mr. Grey, der
Highway!“ schreit Ros und reißt mich aus meinen Tagträumen.
„Und was
jetzt?“
„Jetzt werden
wir ein vorbeifahrendes Auto anhalten, das uns nach Hause bringt.“
„Habe ich noch
Akkuleistung über?“ fragt sie.
„Nein, der Akku
war vor etwa einer Stunde leer. Meiner leuchtet bereits rot und immer noch kein
verdammtes Signal. Er wird nur noch ein paar Minuten halten“, sage ich
verbittert.
„Wie spät ist
es?“
„18:09 Uhr. Wir
finden am besten so schnell wie möglich ein Auto, das uns zurück nach Seattle
bringt. Niemand wird uns im Dunkeln mitnehmen wollen. Man weiß nie, was in der
Dunkelheit lauert. Die Leute werden sich vor Fremden auf der Straße in Acht
nehmen.“
„Lassen Sie uns
am Straßenrand entlanggehen.“
„Welche
Richtung, Mr. Grey?“
„Die I-5 liegt
in dieser Richtung“, sage ich und zeige auf die Straße. In diese Richtung
wollen wir also. Jemand der ebenfalls in diese Richtung fährt, könnte uns
vielleicht mitnehmen. Wir haben 600$. Das könnte jemanden reizen, einen
zweistündigen Umweg in Kauf zu nehmen.“
Wir gehen am Rand
des Highways entlang. Es gibt nicht viele Autos, die an uns vorbeifahren. Und
die zwei, die an uns vorbeigefahren sind, ohne anzuhalten, haben beschleunigt,
als würden sie von der Polizei verfolgt werden. Wir gehen etwa 100 Meter die
Straße entlang, bis wir die quietschenden Bremsen eines großen Sattelschleppers
hören. Ein Truck hält neben uns, das Fenster wird heruntergekurbelt und ein
Mann mittleren Alters mit schwachem Bartwuchs und einer John Deere Kappe steckt
seinen Kopf heraus.
„Tach, ihr Fremden.
Braucht ihr ein paar Räder unterm Hintern?“
Ros und ich
bleiben stehen. Gott sei Dank!
„Ja. Wir hatten
einige Meilen zurück einen Unfall und versuche nun zurück nach Seattle zu
kommen. Wir würden für immer in Ihrer Schuld stehen, wenn sie uns mitnehmen.
Wir könnten Sie für die Unannehmlichkeiten auch bezahlen“, sage ich.
„Überhaupt kein
Ärger, Mann. Es sieht so aus, als seid ihr schon länger unterwegs. Und du hast
ja nicht mal Schuhe. Hast sie deiner kleinen Lady gegeben, stimmt’s? Rein mit
euch!”
Wir öffnen die
Tür und ich helfe Ros dabei, in den Truck zu steigen. Ich reiche ihr ihre High
Heels und ihre Tasche und klettere selber hinein.
„Danke, Mann!
Ich bin Christian und das ist Ros.“
„Mein Name ist
Len. Len Mattson aus South Dakota. Ihr seht ganz schön ausgetrocknet aus. Habt
ihr Durst?“
„Ja!“ ruft Ros.
„Haben Sie irgendetwas zu essen? Wir haben seit dem Frühstück nichts mehr
gehabt. Wir können Ihnen für das Essen bezahlen.“
„Nein, nein,
kleine Lady. Ich werde auf einem Parkplatz halten und wir werden etwas essen. Ich
habe Sandwichs mit Fleisch und allem Drum und Dran. Wir können Truthahn oder
Roast Beef Sandwichs machen. Ich teile mit euch. Seht euch meine mädchenhafte
Figur an, ihr wisst schon”, sagt er witzelnd und tätschelt seinen dicken Bauch,
der aussieht, als hätte er vor einem Monat ein 10 Pfund Baby geboren.
Auf einem
kleinen Parkplatz am Rand der Straße macht Len, der Trucker, Halt.
„Ich habe da
unten noch zusätzlichen Stauraum. Hab sogar eine Kühlbox dort. Was wollt ihr
haben, ich habe Wasser und Pepsi? Ich mache die Sandwichs, ihr nehmt euch, was
ihr wollt.“
„Ich nehme
Wasser und eine Pepsi, wenn Sie noch eine übrig haben. Ich habe das Koffein
sicher nötig“, sagt Ros.
„Ich nehme
Wasser, Len“, sage ich.
Len klettert
herunter und stellt sich dabei erstaunlich wendig an. Das hätte ich bei seinem
ausladenden Bauch nicht gedacht. Zehn Minuten später kehrt er mit Sandwichs und
Getränken für uns zurück.
„Ich mache die
Sandwichs immer frisch. Das Brot wird sonst pappig. Wenn ich Hunger habe, mache
ich mir welche“, sagt er.
Ich blicke Ros
an und sie nickt.
„Len, nun, da
Sie uns nach Seattle zurückbringen und auch noch Ihr Essen mit uns teilen,
möchten wir Ihnen gerne etwas Geld geben.“
„Sohn, lass
dein Geld stecken. Es nützt hier nichts. Außerdem würde es meiner kleinen Lady,
Evelyn ist ihr Name, nicht gefallen, wenn ich nicht freundlich zu Fremden bin.
Das machen wir in Mitchell nicht.“
„Vertrauen Sie
mir, ich kann es mir leisten“, sage ich.
„Das ist schön
für dich, Sohn. Ich kann mir diesen Gefallen leisten. Die Menschlichkeit ist
nicht tot, zumindest nicht in Mitchell, South Dakota“, sagt er grinsend und
nimmt einen kräftigen Schluck aus seiner Pepsi.
„Danke“, sage
ich völlig fasziniert von der Freundlichkeit dieses Fremden.
„Len, haben Sie
zufällig ein Handy?“
„Nein, junger
Mann“, sagt er glucksend. „Du wirst es vielleicht komisch finden, aber ich
hatte noch nie so ein Ding. Ich spare mir jeden Bissen vom Munde ab für meinen
Jungen“, sagt er mit einem Leuchten in den Augen, während er von seinem Sohn
spricht.
„Oh, schade.
Unsere Akkus sind leer und meine Freundin macht sich bestimmt Sorgen um mich.
Ich habe sie nicht angerufen.“
„Ihr zwei seid
nicht zusammen?“ fragt er neugierig.
„Nein!“ sage
wir wie aus einem Mund.
„Sie arbeitet
für mich“, sage ich und Ros fügt hinzu, „Ich habe auch eine Freundin.“
Len verschluckt
sich fast an seinem Sandwich.
„Du bist ja wie
Reverend Walsh damals sagte, so wie Ruth und Naomi!“
„Ich wurde
bislang nichts dergleichen bezichtigt. Aber wer sind Ruth und Naomi?“
„Um die
Wahrheit zu sagen, habe ich nicht allzu sehr aufgepasst, als er darüber
gesprochen hat. Ich habe im Kopf die Rechnungen gezählt. Aber erzähl das bloß
nicht Evelyn, sie ist eine fromme Frau. Das ist sie wirklich.“
„Das verspreche
ich. Ich werde kein Wort sagen“, entgegnet Ros.
„Ich verurteile
dich nicht, verstehst du? Ich bin auch ein Sünder, das sind wir alle. Ich
verstehe bloß nichts von den Gefühlen, von denen du sprichst. Aber Ma’am,
Männer haben doch so viel mehr zu bieten. Du weißt, was ich meine?“ sagt er mit
aufrichtiger Neugier.
„Ich habe es in
der dritten Klasse herausgefunden, als Jimmy Simpson Schülersprecher werden
wollte. Sein Motto lautete: ‚Stimmt für mich und ich zeige euch meinen
Pullermann‘. Aus reiner Neugier habe ich für ihn gestimmt. Aber ich bin nicht
daran interessiert. War ich noch nie.“
„Was du nicht
sagst! Aber aus reiner Neugier. Lass mich dich eins fragen, Ma’am. Unser
Christian hier ist doch ein gut aussehender junger Mann. Siehst du nichts in ihm?
Nicht einmal ein kleines Funkeln?“ fragt er und beugt sich vor. Er sieht aus,
als würde er eine schwierige Matheaufgabe lösen wollen.
„Nein,
überhaupt nichts. Das soll keine Beleidigung sein, Christian“, sagt sie und
wendet sich mir zu. „Obwohl ich natürlich weiß, dass ihm eine Menge Frauen
schöne Augen machen. Und außerdem hat er eine Freundin, die er liebt“, sagt sie
und beißt von ihrem Truthahn Sandwich ab. „Sind Ruth und Naomi Lesben aus Ihrem
Dorf?“ fragt sie neugierig. Len kichert, als er ihre Frage hört.
„Nein, Ma’am,
sie sind aus der Bibel.“
„Die Bibel
berichtet von Lesben?“
„Ich sage
nicht, es gibt sie oder nicht. Ich bin kein sehr gebildeter Mann. Ich erzähle
euch nur, was der Pastor gesagt hat. Es könnte genauso viel Aufhebens um nichts
sein. Ihr müsst wissen, ich habe nicht so gut zugehört. Es wird ziemlich
langweilig, müsst ihr wissen. Er hat gesagt, dass Ruth die Schwiegertochter von
Naomi war. Sie hatte noch eine Schwiegertochter, Orpah. Da hat Oprah auch ihren
Namen her, die Lady, die meine Frau öfters im Fernsehen anguckt“, sagt er.
„Wie auch immer
…“, unterbreche ich ihn.
„Len, ist es
möglich, dass Sie gleichzeitig fahren und die Geschichte erzählen? Ich muss
wirklich los.“
„Oh, ja ja!“
sagt er, schaltet den Motor an und biegt auf den Highway.
„Also es ist
so“, sagt er, als hätte ich ihn nie unterbrochen. „Irgendetwas ist passiert und
die Ehemänner sind gestorben, also Ruths und Orpahs, meine ich. Ruth bleibt
darauf bei ihrer Schwiegermutter und der Pastor sagte, Ruth hat sich an Naomi
geklammert.“
„Sie meinen
also, dass sie bei ihr geblieben ist?“
„Ja, aber der
Pastor hat irgendein hebräisches Wort dafür benutzt. Allem Anschein nach war es
wie bei Adam und Eva.“
„Welches Wort
hat er verwendet?“
„Kleine Lady,
ich spreche meine eigene Sprache kaum und jetzt fragst du mich auch noch eins
auf Hebräisch. Aber wie der Zufall will, erinnere ich mich daran. Es klang so
ähnlich wie Dubuque, Iowa, wo mein Cousin Mark wohnt und einen
Lebensmittelladen hat. Hübscher Ort. Naja wir auch immer. Das Wort war ‘dabaq’. Weil es wie Dubuque klingt, habe
ich den Pastor gefragt, wie es geschrieben wird. Er hat es vor der ganzen
Kirchengemeinde buchstabiert. War sehr nett von ihm. Aber nach der Predigt hat
Mrs. Shubert meiner kleinen Lady Evelyn zugeflüstert, dass der Pastor diese
Predigt ausgewählt hat, weil er herausgefunden hat, dass seine Lieblingsnichte
Margie, die nie mit einem Jungen ausgehen würde, nicht einmal mit dem
Quarterback des Football Teams, heimlich Reese Jacobsen anhimmelt!“
„Wer ist das?“
fragt Ros.
„Ein Mädel aus
ihrer High School Klasse. Aber Reese hat Jonny Griffith geheiratet und sie
haben zwei hübsche Jungs. Sie ist nicht so.“
„Es ist eine
Kleinstadt. Vielleicht hat die Nichte des Pastors nicht die richtige gefunden.“
„Das glaube ich
auch, Ma’am. Aber wie auch immer. Es ist ein Gerücht. Aber bis zu diesem Tag
wusste ich nicht, warum der Pastor diese Predigt gehalten hat. Er hat es dabei
belassen und er hat gesagt, dass es seltsam war. Das Wort ‚Spalte‘ war auch in
diesem Zusammenhang. Er hat seine buschigen Augenbrauen gehoben, und das obwohl
er Ire ist, Man glaubt gar nicht, dass er sonne buschigen Augenbrauen hat. Aber
die hat er gehabt und ich werde diese Predigt nie vergessen. Jetzt wisst ihrs.“
„Also sind Ruth
und Naomi Lesben?“
„Das ist das
Merkwürdige. Naomi hat sie an Boaz verheiratet, ein weit entfernter männlicher
Verwandter oder so. In diesen Tagen, war das Leben als Witwe richtig hart. Man
musste also einen Ehemann haben.“
„Vielleicht
waren sie nur enge Freunde. Manchmal stehen sich Freunde näher als Verwandte.“
„Vielleicht
hast du Recht, Ma’am. Aber wir haben keine Chance sie zu fragen. Das war lange
vor unserer Zeit. Vielleicht waren sie einfach zu treu.“
„Das ist
wohlmöglich nur Wunschdenken zu Gunsten Ihres Pastors.“
„Wie es auch
immer war, ich werde dich nicht verurteilen, Ma’am. Das ist Gottes Platz und
ich werde nicht Gott spielen. Und außerdem habe ich einen behinderten Sohn.
Meine kleine Lady kümmert sich zu Hause um ihn. Wer weiß, was ich getan habe.
Gott bestraft mich dafür …“, sagt er betrübt.
Ich kneife
meine Augen zusammen.
„Warum glauben
Sie, dass Gott Sie mit einem behinderten Kind straft?“
„Oh, nein! Er
ist keine Enttäuschung. Er ist der süßeste Junge, den man sich vorstellen kann.
Er ist jetzt fünfzehn. Aber ein Vater wünscht sich, dass sein Sohn Football im
Team spielt und ich möchte ihn gerne mit auf einen Trip nehmen. Aber er hat
diese Krampfanfälle und die Ärzte haben nie festgestellt, warum er sie hat.
Evelyn, meine kleine Lady und ich haben ihn von einem Arzt zum nächsten
geschleppt und es wird nicht besser. Ich habe diesen Sattelschlepper
verpfändet, damit man sich richtig um ihn kümmern kann. Aber das Geld ist weg
und besser ist es auch nicht“, sagt er besorgt.
„Und warum ist
es dann eine Bestrafung?“
„Sohn, sieh
mich an! Ich bin 55 Jahre alt. Wir haben so lange probiert, bis wir endlich
dieses Kind bekommen haben und dann hat
er diese Probleme. Und jetzt kann ich nichts dagegen machen. Als ich jünger
war, muss ich irgendetwas falsch gemacht haben. Ich bin ein miserabler Vater.
Man will doch für seine Familie sorgen und ihre Krankheiten heilen und ich schaffe
es nicht. Dieses Kind verdient einen besseren Vater als ich“, sagt er und
schüttelt seinen Kopf.
„Wie heißt er?“
frage ich plötzlich.
„Trevor“, sagt
er stolz. „Süßester junger Mann, den man je treffen wird. Du natürlich
ausgenommen. Evelyn unterrichtet ihn zu Hause, weil wir nicht wollen, dass er
in der Schule aufgezogen wird, wenn er einen Anfall hat. Kinder können ganz
schön grausam sein und du weißt, wie es für Teenager ist“, sagt er.
Ich weiß nur
allzu genau, wie es ist anders zu sein.
„Ich glaube ihr
Kind ist glücklich, den besten Vater zu haben, den es gibt“, sage ich zu Len
und Ros blickt mich verwundert an.
„Das ist nett,
dass du das sagst, junger Mann. Was hattet ihr denn eigentlich für einen
Unfall? Wo ist euer Auto?“
„Wir hatten
keinen Autounfall. Wir sind mit dem Helikopter abgestürzt“, sage ich, so wie es
ist.
„Was du nicht
sagst! Dann muss Gott dich wirklich lieben, junger Mann“, sagt er zu mir und
dreht sich zu Ros und sagt, „ und du, junge Lady, bleibst bei denen, die dich
lieben!“
„Ja, wir sind
sehr glücklich“, fügt Ros leise zu.
Aus der Ferne
erkenne ich die Silhouette von Seattle und mein Herz taumelt vor Freude,
Anastasia wiederzusehen.
„Wir sind bald
zu Hause, Kinder“, sagt Len aufgeregt, während der Truck über den Highway rollt
und streichelt seinen übergroßen Bauch.
„Zuerst werden
wir dich zu Hause absetzen, junge Lady. Wenn ich mir diese Schuhe ansehe, willst
du deine Füße sicher in Bittersalz baden. Ich weiß nicht, wie ihr Stadtmädchen
in diesen Dingern laufen könnt. Ich würde stolpern und mir den Hals brechen!“
sagt er glucksend.
„Tja Len, dann
bin ich froh, dass es nicht Ihre Schuhe sind.“ Sie lacht und ist glücklich,
bald zu Hause zu sein.
„Unsere
Wohnungen sind gar nicht weit voneinander entfernt, Len“, sage ich. „Sie müssen
nach Downtown Seattle fahren. Ich wohne in einem großen Gebäude namens Escala.
Man kann es gar nicht verfehlen. Ros wohnt fast über die Straße.”
„Einen
Steinschlag entfernt, was?“
Ich lache. „Das
kann man so sagen.“
„Junge Lady, du
musst mich zu dem richtigen Haus führen“, sagt Len zu Ros.
Als wir uns Ros
Haus nähern, sehe ich einige Fotografen vor dem Gebäude warten. Anscheinend war
es kein Geheimnis, dass Ros und ich verschwunden waren. Die Info ist an die
Öffentlichkeit gelangt. Ich sehe Ros an.
„Vielleicht
rufen Sie Andrea für mich an. Sagen Sie ihr, sie soll die PR-Abteilung
informieren und ein Statement rausgeben, das es uns gut geht und kein Grund zur
Sorge besteht. Und wenn es an die Öffentlichkeit gelangt ist, sollte sie auch
meine Eltern informieren. Sie wollen es vielleicht wissen“, sage ich.
„Vielleicht?
Sohn, ich nehme an, du bist noch kein Vater. Jedes Elternteil würde wissen
wollen, ob es ihrem Kind gut geht, vor allem wenn es einen Unfall hatte. Sie
müssen krank vor Sorge sein! Lass deine Mom und deinen Dad wissen, dass es dir
gut geht“, sagt er.
„Das werde ich
machen“, sage ich und lächele ihn zu seinen Gunsten an.
„Wir wissen
Ihre Hilfe wirklich zu schätzen, Len! Wir haben zusammen 600$. Sind Sie sicher,
dass Sie sie nicht wollen? Sie haben einen Umweg gemacht und Ihr Essen mit uns
geteilt. Sie könnten das Geld für Ihr Kind verwenden.“
„Das ist nett
von dir, mein Sohn, aber Evelyn würde es nicht gut finden, wenn ich dafür Geld
nehmen würde. Wenn ihr jemals in unsere Gegend kommt, haltet nach Len Mattson
Ausschau, Mitchel, South Dakota. Oder wenn ich auf der Straße unterwegs bin,
wird euch meine Evelyn gerne bewirten.“
„Danke. Wir
stehen in Ihrer Schuld“, sage ich feierlich zu ihm. Ich bin von der
Freundlichkeit dieses Fremden überrascht.
Ros deutet auf
ihr Haus und wird setzen sie ab.
Ich zeige Len,
wo ich wohne und er hält den Truck vorm Escala. Er ist von der kleinen Schar
Fotografen überrascht.
„Alle wissen,
dass du verschwunden warst, mein Sohn“, sagt er und streckt seine Hand aus. „Du
musst ein wichtiger Mann sein.“
„Danke, Len.
Ich werde Ihre Freundlichkeit nicht vergessen.“
„Oh, das war
doch nichts“, sagt er verlegen. „Ruf deine Mama an. Wir sehen uns, Sohn“, sagt
er und ich schüttele seine Hand. Ich steige mit nackten Füßen, meinen Socken,
meinen Schuhen, die Ros mir zurückgegeben hat und meinem Jackett in der Hand
aus.
Ich winke Len
zu und er fährt lächelnd davon.
„Mr. Grey! Mr. Grey! John Brattell von der Seattle Times. Was können Sie uns sagen, Sir?”
„Mr. Grey,
stimmt es, dass Ihr Helikopter abgestürzt ist?“
„Mr. Grey, gab
es bei Ihrem Unfall irgendwelche Verletzte, Sir?“
„Mr. Grey! Mr.
Grey! Die Neuigkeiten, dass Ihr Helikopter verschwunden ist, sind überall
verbreitet. Wie wurden Sie gerettet und wie sind Sie nach Hause gekommen?“
„Mein Büro wird
ein offizielles Statement veröffentlichen. Gute Nacht, meine Herren“, sage ich,
als Steve, der Portier, die Tür öffnet und mich hereinlässt. Gleich hinter mir
schließt er sie wieder.
„Guten Abend,
Sir. Ich bin froh, dass Sie wieder zu Hause sind“, sagt er und nickt.
„Ich auch“,
sage ich und lache eigentümlich.
Ich drücke auf
den Knopf neben den Aufzügen. Es fühlt sich wie eine Ewigkeit an, bis die
Aufzugtüren sich in der Lobby öffnen. Ich bin nervös, dass José und Anastasia
vielleicht allein im Apartment sind. Ich hasse die Vorstellung, dass ein
anderer Mann allein mit ihr ist. Im Moment winde ich mich vor Eifersucht. Aber
ich habe sie so sehr vermisst, dass ich es kaum in Worte fassen kann. Weiß sie,
dass ich vermisst wurde? Hat sie sich Sorgen um mich gemacht? Ich will mein
Mädchen einfach halten, und … Ich kann den Rest meiner Gedanken gar nicht in
Worte fassen. Die Aufzugtüren öffnen sich. Ich trete ein und halte meine
Socken, meine Schuhe und mein Jackett in meinen Händen. Ich gebe den Code ein
und die Türen schließen sich. Die Sekunden können gar nicht schnell genug
vergehen, bis ich sie wieder sehe. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich
hätte heute sterben und sie zurücklassen können. Das hat etwas in mir zum Leben
erweckt. Ich brauche eine Beteuerung meines Lebens, ich will sie küssen, lieben
und fühlen. Genau genommen möchte ich ihr heute Nacht die Seele aus dem Leib
ficken. Zum Teufel, ich will sie lieben, will sinnlich, ursprünglich, in ihr,
auf ihr, um sie herum sein … einfach mit ihr zusammen sein. Ich brauche sie,
wie ich meinen nächsten Atemzug brauche!
Als der Aufzug
mein Penthouse erreicht, öffnen sich die Türen wieder. Die große Gruppe, die
sich in meinem Apartment zusammengefunden hat, verschlägt mir den Atem. Was
machen sie alle hier?
Ich höre meine
Mutter meinen Namen rufen und es klingt so, als würde man ihr das Herz herausreißen:
„Christian!“
schreit sie, als würde sie ihr verlorenes Kind rufen. Als nächstes läuft meine
Mutter ziemlich ungraziös auf mich zu. Sie wirft sich gegen mich, wie ein Linebacker
am Superbowl Sonntag im Zweikampf! Ich habe gerade noch genug Zeit, meine
Schuhe, meine Socken und mein Jackett auf den Boden fallen zu lassen, um meine
Mutter aufzufangen und mich selbst auf den Füßen zu halten. Sie wirft ihre Arme
um meinen Hals und küsst meine Wangen wieder und wieder, als wäre ich soeben
von den Toten auferstanden. Und komischerweise fällt es mir überhaupt nicht
schwer ihre Berührung zuzulassen. Sie hat mich noch nie so gehalten oder mir
ihre Gefühle auf diese Weise offenbart.
„Mom? Geht es
dir gut?“ frage ich perplex und blicke auf sie herab. Sie ist immer so
kontrolliert und sich ihrer Wörter und Gefühle so sicher. Ich habe sie noch die
Kontrolle auf diese Weise verlieren sehen. Ihre Gefühle hat sie noch nie so
offen zur Schau gestellt. Naja vielleicht doch, in der Zeit, wo ich mich in der
Schule geprügelt habe und ich das College abgebrochen habe. Aber selbst dann
war es nie so intensiv und noch nie hat sie mir ihre Liebe so sehr gezeigt. Es
verschlägt mir vollkommen die Sprache.
„Mein Sohn, ich
dachte, ich würde dein wunderschönes Gesicht nie wieder sehen“, sagt sie
würgend und ruft meine Ängste wieder an die Oberfläche.
„Ich bin hier,
Mom“, sage ich mit angespannter Stimme und versuche sie zu beruhigen. Abwesend
streichele ich ihren Rücken.
„Liebling, ich bin
heute tausend Tode gestorben. Ich habe mir Sorgen gemacht, geweint“, sagt sie
und schnieft gedämpft. Dann beginnt meine Mutter, Doktor Grace Trevelyan-Grey
zu schluchzen und unverfroren zu keuchen. Was? Wow! Oh! Meine Mutter weint um
mich! Wegen mir! Warum? Ich sehe meine Mutter an, die jetzt wie ein Kind, das
sein Lieblingsspielzeug verloren hat, aussieht und ich fühle mich gezwungen sie
zu beruhigen und sie in meinen Armen zu halten.
„Christian, oh
Baby, ich …“ sagt sie schnaufend und hält mich noch fester. Ohne Hemmung weint
sie an meinem Hals. Sie ist völlig erleichtert. Ich kann nichts erwidern. Ich
verstärke einfach meinen Griff und wiege sie sanft hin und her, um sie zu
beruhigen. Die Schreie meiner Mutter müssen meinen Vater alarmiert haben. Er
eilt aus Taylors Büro ins Wohnzimmer. Er kommt auf uns zu.
„Oh, lieber
Gott! Er lebt! Scheiße! Du bist zu Hause!” Daraufhin schließt er meine Mutter
und mich in seine Arme. In seinen Augen sammeln sich die Tränen. In seiner
Erleichterung versucht er sie zu unterdrücken.
Unfähig seine
Antwort zu verstehen, sage ich, „Dad?“ und versuche seine Stimmung
abzuschätzen. Warum? Er drückt uns heftig und streicht abwesend über meinen
Rücken. Und aus irgendeinem Grund weiche ich nicht vor seiner Berührung zurück.
Mit großen Schritten kommt Mia auf uns zu gerannt und wirft sich in unsere
Umarmung. Schließlich zieht sich mein Vater zurück. Er schafft es nicht seine
Tränen zu unterdrücken. Er schnieft, versucht sich selbst zu beruhigen und
wischt sich mit dem Handrücken über seine Augen wie ein kleines Kind. Schließlich
klopft er mir auf die Schulter, unfähig ein einzelnes Wort hervorzubringen. Mia
und zuletzt auch meine Mutter lassen von mir ab und schließlich scheint meine
Mutter langsam wieder ihre Beherrschung zurück zu erlangen und murmelt,
„T‘schuldigung, Sohn.“
„Nein, Mom, es
ist alles in Ordnung“, sage ich. Ihr emotionaler Ausbruch bestürzt mich.
„Wo warst du,
Christian? Was ist mit dir passiert, mein Sohn?“ weint sie. Sie nimmt ihr
Gesicht in die Hände, sie kann ihren Kummer wieder nicht unterdrücken.
Ich blinzele
einige Male. Ich bin es absolut nicht gewöhnt, sie so zu sehen. Ist das nur
wegen mir?
„Oh, Mom.” Mehr
bringe ich nicht hervor. Ich ziehe sie in meine Arme und küsse ihr Haar. „Mir
geht es gut, Mom. Ich bin hier. Es hat mich nur jede Menge Zeit gekostet von
Portland hierher zurückzukehren. Was soll dieses Empfangskomitee?“ sage ich und
blicke in die Menge. Meine Augen suchen nach einer Person, einer einzigen,
bestimmten Person. Schließlich finde ich sie. Unsere Blicke treffen sich. Das
ist der Anblick, nach dem ich mich den ganzen Tag verzehrt habe, meine
Rettungsanker. Und ihre Hand wird von niemand geringerem als von diesem
Scheißkerl José gehalten! Mein Blick ruht auf seinen Händen, die die von meinem
Mädchen umschließen. Ich blinzele ihn besitzergreifend an. Automatisch lässt er
ihre Hände los. Meine Lippen sind immer noch zu einer schmalen Linie
zusammengepresst. Den ganzen Tag über habe ich mir vorgestellt, wie jemand
anderes sie in meiner Abwesenheit besänftigt. Und hier sitzt nun dieser jemand.
Anastasias Augen sind rot, verquollen, und ihre Lippen sind pink, von ihrem
Geschrei geschwollen.
Aber ich bin
immer noch verwirrt. Was wollen diese ganzen Leute bei mir zu Hause? Was ist
hier los?
„Mir geht es
gut, Mom. Was ist los?“ frage ich sie. Sie nimmt mein Gesicht in ihre Hände,
wie sie es auch bei einem kleinen Kind machen würde.
„Du warst den
ganzen Tag verschwunden, mein Sohn! Wir haben gehört, dass …“, sie hält inne
und versucht sich zu sammeln. „Wir haben gehört, dass dein Flugplan, also, dass
dein Flug niemals in Seattle angekommen ist. Warum hast du uns nicht Bescheid
gesagt? Irgendjemanden?“ fragt sie aufgelöst.
„Es tut mir
leid, Mom. Ich habe nicht gedacht, dass es so lange dauern würde“, erwidere
ich.
„Ist ja gut,
aber warum hast du uns nicht angerufen?“
„Mein Handy war
leer.“
„Herrgott, du
hättest irgendwo anhalten können und ein R-Gespräch führen können. Warum hast
du das nicht gemacht?“
„Das ist eine
lange Geschichte, Mom. Hatte nicht die Möglichkeit“, antworte ich.
„Christian
Grey! Tu das nie wieder! Verstehst du mich? Nie wieder!” tadelt sie mich schon
fast schreiend. Ihre Augen nehmen langsam einen erleichterten Ausdruck an,
obwohl die Sorge noch deutlich zu erkennen ist.
„Okay, Mom, das
werde ich nicht“, sage ich und wische ihre Tränen weg, ehe ich sie erneut
umarme. Als ich meine Mutter loslasse, kommt Mia auf mich zu, um mich ebenfalls
zu umarmen. Doch bevor sie das tut, schlägt sie mir heftig gegen die Brust.
„Du Idiot!
Weißt du eigentlich, was wir uns für Sorgen gemacht haben?“ schreit sie
tränenüberströmt und umarmt mich.
„Es tut mir
leid. Jetzt bin ich da, um Himmels Willen“, murmele ich. Als ich Mia loslasse,
tritt mein Bruder Elliot vor. Mein Dad hält Mia in einem und meine Mutter im
anderen Arm. Mein Bruder, mein Macho Bruder, tritt auf mich zu und umarmt mich
zu meiner völligen Überraschung. Mit seiner Hand schlägt er mir hart auf den
Rücken.
„Es tut gut
dich wiederzusehen, Bro!“ sagt er barsch und versucht seine Gefühle zu
unterdrücken. Es gelingt ihm aber nicht.
Anastasia sitzt
wie festgefroren auf ihrem Platz. Katherine flüstert ihr etwas ins Ohr. Ich
kann meine Augen einfach nicht von ihr abwenden.
„Mom, Dad“,
sage ich und richte meinen Blick auf Anastasia, „Und jetzt werde ich mein
Mädchen begrüßen.“ Sie nicken und gehen zur Seite.
Mein Blick ruht
auf ihr. Mit langsamen, aber entschlossenen Schritten gehe ich auf sie zu. Ich
kann immer noch nicht glauben, dass ich sie wiedersehe. Sie steht von ihrem
Platz auf, schwankt und stürzt sich in meine offenen Arme.
„Christian!
Christian! Christian!” schnieft sie in meinen Armen. Schließlich durchströmt
mich die Erleichterung, als ich sie endlich in meinen Armen spüre, ihren Duft,
ihre Präsenz, ihre Stimme – all das erweckt meine Sinne. Ich vergrabe mein
Gesicht in ihren Haaren, sauge ihren Duft ein, verschlinge sie und spüre wie in
mir wieder das Leben erwacht.
„Schh, Baby. Ich bin hier“, flüstere ich und halte
sie. Endlich schafft sie es, ihren Kopf zu heben und mich anzusehen. Ich küsse
sie.
„Hi, Baby“, flüstere
ich gegen ihre Lippen.
„Hi“, murmelt
sie zurück und versucht ihre Schluchzer zu unterdrücken.
Im Moment spüre
ich nur diese überwältigende Liebe für sie. Ich will sie nicht gehen lassen.
„Hast du mich vermisst?“ frage ich.
„Ein bisschen“,
sagt sie und ich muss grinsen.
„Ich denke
schon“, sage ich, strecke meine Hand aus und wische ihre Tränen weg. Sie
kullern aber dennoch unaufhörlich über ihre Wangen.
Ihr Gesicht
nimmt einen besorgten Ausdruck an und sie beginnt wieder zu schluchzen. „Ich habe
wirklich gedacht …“, sagt sie und bricht ab, „Ich dachte …“ Sie schafft es
nicht, ihre Gedanken in Worte zu fassen. Ich halte sie noch fester und versuche
sie zu beruhigen.
„Ich weiß,
Baby. Jetzt bin ich ja da. Es tut mir leid. Schh, mein Liebling. Ich erkläre es
dir später”, murmele ich, um sie zu beruhigen. Ich küsse sie erneut, schmecke
den salzigen Geschmack ihrer Tränen und ihre Besorgnis. Ich habe sie so sehr
vermisst. Ich will sie nicht gehen lassen.
„Geht es dir
gut?“ fragt sie und löst sich viel zu schnell von mir. Sie berührt meine Arme,
meine Brust, meine Taille. Sie will mich spüren und ihre Berührung macht mir
überhaupt nichts aus. Ich habe mich den ganzen Tag danach gesehnt, sie begehrt
und hätte sie beinahe für immer verloren. Ich stehe auf der Stelle, sehe sie
eindringlich an, spüre ihre Berührung, suhle mich darin. Ich gehöre ihr und sie
gehört mir. Gott sei Dank! Ich bin wieder bei ihr, ich bin zu Hause.
„Mir geht es
gut, Baby. Ich gehe nirgends wohin“, erkläre ich entschieden.
„Oh, Gott sei
Dank, Christian!“ sagt sie und hält mich fest umklammert. „Bist du hungrig oder
durstig? Möchtest du etwas?“ fragt sie in einem einzigen Atemzug.
„Ja, bin ich”,
antworte ich. Sie will sich umdrehen, um mir etwas zu essen zu holen. Aber ich
halte sie fest und ziehe sie zurück in meine Arme. Ich strecke ihrem ‚Freund‘
José die Hand entgegen.
„Mr. Grey“,
sagt er mit gleichmäßiger Stimme.
Ich mache ein
schnaubendes Geräusch, das ich so gar nicht von mir kenne. Nach dieser
Gefühlsflut, die mir in den letzten Minuten entgegengebracht wurde, scheint
sich mein Herz ein klitzekleines bisschen zu erweichen. „Christian, bitte“,
sage ich.
„Christian“,
sagt er und nickt. „Willkommen zurück. Ich bin froh, dass es Ihnen gut geht,
Mann und ähm, danke, dass ich hier übernachten darf“, sagt er anerkennend.
„Kein Problem“,
sage ich, obwohl es nicht meine erste Wahl war. Aber im Moment ist in meinem
Universum alles in Ordnung. Ich komme damit klar. Plötzlich taucht Mrs. Jones
neben mir auf. Sie sieht bekümmert aus. Sie trägt ihr Haar nicht in ihrem
üblichen Knoten. Zudem hat sie graue Leggins und ein großes, graues Sweatshirt
mit der Aufschrift WSU Cougars an. Sie sieht eher wie eine College Studentin
als meine immer gefasste Haushälterin aus.
Sie hat auch
geweint und während sie ihre Augen mit einem Kleenex abwischt, versucht sie
ihre Haltung wieder zugewinnen. Sie fragt mich, „Kann ich Ihnen etwas bringen,
Mr. Grey?“
Mrs. Jones war
schon immer eine loyale Angestellte, aber ich hätte nicht einmal im Traum daran
gedacht, dass sie sich solche Sorgen um mich machen würde. Ich kann sie nur
freundlich anlächeln und sage, „Kann ich bitte ein Budweiser haben, Gale, und
einen Happen zu essen.“
Anastasia
springt auf, um mir das Essen und das Bier zu holen.
„Nein“, ich ziehe
sie zurück. Ich kann es nicht ertragen, sie gehen zu lassen. Ich habe mich die
letzten acht Stunden nach ihrer Nähe gesehnt. Es war die reinste Qual für mich.
„Geh nicht”, sage ich leise und ich halte sie neben mir fest.
Beruhigt sieht
sie zu mir auf und sagt leise, „Okay.“
„Alter, ich bin
überrascht, dass du nichts Stärkeres willst! Was zum Teufel ist mit dir
passiert? Dad hat mich zuerst angerufen und gesagt, dass dein Hubschrapschrap
als vermisst gemeldet wurde und“, aber meine Mom unterbricht ihn.
„Elliot!“
„Helikopter,
nicht Hubschrapschrap“, brumme ich und Elliot grinst mich an. Elliot weiß, dass
ich dieses Wort hasse. Die meisten Berufspiloten verabscheuen diese
Bezeichnung. Helikopter sind auch als Drehflügler bekannt, da sich die Flügel
oder Blätter des Helikopters drehen. Nur die Laien, die noch nicht geflogen
sind, nennen sie Hubschrapschrap. Es ist genauso wie wenn man ein Flugzeug
„einen Vogel“ nennen würde. Elliot
grinst, als hätte er mit seinem Witz soeben einen Home Run vollzogen.
„Ich werde euch
erzählen, was passiert ist. Setzt euch doch alle“, sage ich und ziehe Anastasia
zur mir aufs Sofa. Meine ganze Familie, José und Katherine, alle setzen sich
und richten ihren Blick auf mich, warten gespannt, was ich zu erzählen habe.
Ich nehme einen großen Schluck aus der Bierflasche, ehe ich sie zurück auf den
Couchtisch stelle. Als ich meinen Kopf hebe, bemerke ich, wie Taylor den Raum
sorgenvoll betritt. Mrs. Jones muss ihm Bescheid gesagt haben. Er sieht
besorgt, aufgebracht und erleichtert aus, alles zur selben Zeit. Ich nicke ihm
zu und er nickt ebenfalls.
„Wie geht es
Ihrer Tochter?“
„Ihr geht es
gut, Sir. Falscher Alarm.“
„Gut“, sage ich
und bin froh, andere gute Neuigkeiten zu hören.
„Ich bin froh,
dass sie wieder da sind, Sir. Ist das dann alles?“
„Wir müssen
Charlie Tango abholen lassen“, antworte ich.
„Jetzt oder
Morgen früh, Sir?“
„Morgen früh
ist besser, Taylor“ sage ich wohlwissend, dass es schwer sein wird Charlie
Tango zu lokalisieren. Und ich habe keine Lust irgendjemandem den Weg zu
zeigen. Ich möchte bei Anastasia bleiben.
„In Ordnung,
Sir. Sonst noch etwas, Sir?“ fragt er und ich schüttele meinen Kopf. Er wirft
mir aufrichtiges Jason Taylor Lächeln zu, das so selten ist wie ein lebendes
Einhorn. Er verlässt den Raum in Richtung seines Büros.
Die beharrliche
Stimme meines Dads holt mich zurück.
„Christian, was
ist passiert, mein Sohn?“ fragt er.
„Also gut.
Heute Morgen habe ich einen Anruf von der WSU in Vancouver bekommen. Es ging um
ein Problem wegen der Fördergelder. Also habe ich Ros mitgenommen, um sie als
Executive im Bereich der Fördergelder einzusetzen. Sollte es noch einmal
Probleme geben, kann sie diese lösen und ich muss nicht immer persönlich
dorthin fahren“, sage ich. Anastasia hält meine Hand und streicht über meine
Knöchel. Es fühlt sich großartig an, ihre körperliche Nähe zu spüren. Danach
habe ich mich so sehr gesehnt. Dieses Verlangen hat mich einen klaren Kopf
bewahren lassen. Ich war entschlossen und konzentriert.
„Als wir das
Problem mit den Fördermitteln geklärt hatten, hat Ros mich gefragt, ob wir
einen kleinen Umweg machen könnten. Sie wollte so gern Mount St. Helens sehen.
Also haben wir auf dem Rückweg diesen kleinen Umweg gemacht, weil ich wusste,
dass die Flugbeschränkung verändert wurde. Außerdem wollte ich mir auch
ansehen, wie der Berg im Moment aussieht. Ich schätze, es war unser großes
Glück, dass wir so tief geflogen sind. Wir waren etwa sechzig Meter über dem
Erdboden und gerade als ich mich dem Silver Lake näherte, leuchteten alle Anzeigen
am Instrumentenbrett auf - als würde man die Beleuchtung am Weihnachtsbaum
einschalten. Alle Alarmtöne haben geschrillt. Auf der Anzeige habe ich erkannt,
dass ein Feuer im Heckrotor ausgebrochen ist. Ich musste schnell meine
Entscheidungen treffen, um den Helikopter zu landen. Die Elektronik war bereits
zum Teil ausgefallen und die mir verbliebene musste ich zudem auch noch
minimieren. Der Funk war auch schon ausgefallen. Als wir uns dem Boden genähert
haben, musste ich alles ausschalten und die Maschine landen“, sage ich und
erspare ihnen dem Rest des Martyriums, das wir erlebt haben.
Sie sind
sowieso schon alle besorgt, da muss ich es nicht noch schlimmer machen.
„Natürlich
wollte ich nicht riskieren, die Elektronik wieder einzuschalten. Unsere Handys
hatten keinen Empfang. Es gab wohl keinen Mobilfunkmast in der Gegend. Aber das
GPS auf dem Blackberry hat funktioniert und uns dabei geholfen, zur nächsten
Straße zu finden. Es hat fast vier Stunden gedauert, bis wir die Straße
erreicht haben. Ros hatte ihre High Heels an“, sage ich und erinnere mich an
ihre ziemlich hohen Absätze und ihren Bleistiftrock, die uns nur im
Schneckentempo vorankommen ließen.
„Handyempfang hatten wir auch nicht. Ros’ Akku
hat als Erster den Geist aufgegeben und meiner dann irgendwann unterwegs.“ Ich
spüre, wie sich Anastasia neben mir anspannt, als sie hört, was ich zu sagen
habe. Ich ziehe sie auf meinen Schoß, um sie zu beruhigen. Außerdem brauche ich
diese Nähe, ich muss sie spüren.
„Und wie seid ihr dann nach Seattle zurückgekommen?“
fragt meine Mutter neugierig. Sie nimmt erfreut zur Kenntnis, dass ich vor der
Familie praktisch mit Anastasia kuschele.
„Per Anhalter. Wir haben all unser Bargeld
zusammengeworfen. Zusammen hatten wir über sechshundert Dollar, und wir dachten,
wir müssten irgendjemanden bestechen, damit er uns herbringt, aber dann hat ein
Trucker angehalten und uns mitgenommen. Er wollte unser Geld nicht und hat
sogar noch sein Essen mit uns geteilt“, sage ich und erinnere mich an Len
Mattsons Freundlichkeit. Im Gegenzug werde ich ihm etwas zukommen lassen.
„Es hat eine halbe Ewigkeit gedauert. Er hatte
kein Handy, so unglaublich sich das auch anhören mag. Mir war schlicht und
einfach nicht bewusst …“, sage ich und schaffe es nicht, meine Gefühle in Worte
zu fassen. Meine Familie hat mir so viel Liebe entgegen gebracht – es ist
überwältigend.
„Dass wir uns Sorgen machen? Christian! Wir alle
haben beinahe den Verstand verloren!“ tadelt mich meine Mutter.
„Du warst sogar in den Nachrichten, Bruderherz!“
sagt Elliot.
„Ja. Das habe ich mir beinahe gedacht, als ich
vorhin in die Lobby gekommen bin und die Horde Fotografen vor der Tür gesehen
habe. Tut mir leid, Mom. Ich hätte dem Trucker sagen sollen, dass er irgendwo
anhält, damit ich telefonieren kann. Aber ich wollte so schnell wie möglich
nach Hause“, sage ich und mein Blick wandert wie von selbst zu José. Ich wollte
nicht, dass er sich über meine Freundin hermacht.
Meine Mutter schüttelt den Kopf, als würde sie
versuchen, ihre Sorgen abzuschütteln. Dann sagt sie, „Ich bin bloß froh, dass
du heil wieder zuhause bist, Schatz.“
Anastasia legt ihren Kopf gegen meine Brust und
atmet meinen Geruch ein. Sie will mich spüren und verstärkt ihren Griff. Ich
merke, wie ihre Tränen auf meine Brust kullern und ihre stummen Schreie treffen
mich tief in meinem Herzen.
„Beide Triebwerke, sagst du?“, fragt mein Vater
ungläubig.
Das wäre ein ziemlich großer Zufall. Ich zucke
mit den Achseln und streiche mit meiner Hand über ihren Rücken. Anastasia in
meiner Nähe zu spüren, beruhigt mich. „Ja, das werden wir herausfinden.“
Anastasia entweicht ein leiser Schluchzer. Sie
versucht sich zu beherrschen.
„Shhh …“, besänftige ich sie. Mit einem Finger
hebe ich ihr Kinn an und bringe sie dazu, mich anzusehen. „Hör auf zu weinen,
Baby“, sage ich leise.
Mit ihrem Handrücken wischt sie sich ihre Augen
und ihre Nase ab, „Hör du auf, einfach spurlos zu verschwinden“, schnieft sie.
Ihre Lippen beben. Ihre Liebe und Zuneigung bringen ein Lächeln auf meine
Lippen.
„Ein Kurzschluss. Ziemlich seltsam, findest du
nicht auch?“ Ich weiß, dass es seltsam ist.
„Ja, genau das habe ich auch schon gedacht. Aber
jetzt würde ich gern ins Bett gehen und mir morgen in Ruhe über alles Gedanken
machen.“
„Was ist mit den Medien? Wissen die inzwischen,
dass Sie sicher und wohlbehalten nach Hause zurückgekehrt sind?“ fragt
Katherine.
„Ja. Meine Assistentin Andrea und meine PR-Leute
kümmern sich um die Journalisten.
Ros hat sie gleich angerufen, nachdem wir sie
zuhause abgesetzt hatten.“
„Ja, Andrea hat sich sofort bei mir gemeldet und
gesagt, dass du lebst“, sagt mein Vater. Ich stelle fest, dass ich ziemlich
gute Angestellte habe, die sich jeder Herausforderung stellen.
„Ich muss ihr unbedingt eine Gehaltserhöhung
geben. Es ist schon ziemlich spät und sie arbeitet trotzdem“, sage ich.
„Tja, meine Damen, meine Herren, ich glaube, das
ist ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass mein reizendes Bruderherz seinen
Schönheitsschlaf braucht“, sagt Elliot und hebt vielsagend eine Augenbraue. Ich
schneide ihm eine Grimasse.
„Cary, du kannst mich jetzt nach Hause bringen.
Mein Sohn ist in Sicherheit, Schatz“, sagt meine Mutter mit zarter, liebevoller
Stimme.
„Ja,
Liebling. Ich
glaube, uns allen tut eine Mütze voll Schlaf jetzt gut“, sagt mein Vater.
„Bleibt doch bitte“, biete ich ihnen an.
„Nein, Schatz, ich will nach Hause. Jetzt, da ich
weiß, dass du gesund und munter bist“, sagt sie liebevoll. Widerstrebend setze
ich Anastasia auf dem Sofa ab, damit ich meine Mutter zum Abschied umarmen
kann. Sie hält mich fest, lehnt ihren Kopf an meine Brust und atmet meinen
Geruch ein. Sie zeigt mir ihre Liebe. Ich bin von einer tiefen innerlichen
Zufriedenheit erfüllt.
„Ich hatte solche Angst um dich, Schatz“,
flüstert sie.
Ich blinzele und halte sie noch fester, „Mir
geht’s gut, Mom.“
Sie lehnt sich zurück und mustert mich. Als sie
schließlich sicher ist, dass es mir gut geht und sie hier in meinen Armen ist,
nickt sie. „Ja. Ich glaube, du hast Recht“, sagt sie und ich glaube, sie ist
froh, dass ich jemanden habe, der mich halten und lieben kann. Sie wirft
Anastasia einen Blick zu. Anastasia läuft rot an.
Als wir mit Mom und Dad ins Foyer gehen, ruft Mia
ihnen hinterher.
„Mom, Dad, wartet auf mich!“ Sie klingt
verärgert.
Katherine Kavanagh umarmt Anastasia auf ihrem Weg
nach draußen. Die beiden flüstern sich etwas zu. Elliot ruft seine Freundin aus
dem Aufzug. „Komm, Baby. Lass uns gehen“, drängt er sie.
„Wir reden morgen weiter, Ana. Du bist bestimmt
völlig erledigt“, sagt sie zu Anastasia.
„Klar. Du auch, Kate. Immerhin hast du eine
ziemlich lange Reise hinter dir.“
Sie umarmen sich ein weiteres Mal. Ethan
schüttelt meine Hand und umarmt Anastasia zu meinem Missfallen. José wartet im
Foyer. „Okay. Ich mache Schluss für heute. Ihr habt euch bestimmt eine Menge zu
erzählen.“ Anastasia wird daraufhin rot.
„Sie wissen, wo Ihr Zimmer ist?“ frage ich ihn
und er nickt.
„Ja, Ihre Haushälterin …“, sagt er und Anastasia
unterbricht ihn.
„Ihr Name ist Mrs. Jones.“
„Genau. Mrs. Jones hat es mir vorhin gezeigt.
Ziemlich beeindruckende Wohnung, Christian“, sagt er.
„Danke, José“, sage ich, umarme Anastasia und
küsse ihr Haar.
„Ich brauche jetzt erst einmal etwas zu essen.
Mal sehen, was Mrs. Jones hergerichtet hat. Gute Nacht, José“, sage ich und
lasse Anastasia und José im Foyer zurück. Ich will Anastasia zeigen, dass ich
ihr vertraue. Obwohl es mir ziemlich schwerfällt, da ich weiß, dass dieser Typ
völlig verrückt nach meiner Freundin ist.
Ich gehe zur Frühstücksbar und ohne darauf zu
achten, was ich esse, schlinge ich alles, was auf dem Teller liegt, in mich
hinein. Heute Nacht möchte ich mich einfach nur noch in meiner Freundin
verlieren. Als Anastasia den Raum betritt, spüre ich ein immenses Verlangen in
meinem Herzen. Es ist ein Gefühl, ohne dass ich nicht mehr leben kann. Sie ist
mein Grund zu leben. Für eine Weile blicken wir einander einfach nur an.
„Ihn hat’s immer noch schwer erwischt“, murmele
ich.
Sie lächelt mich an und fragt, „ Und woher wollen
Sie das wissen, Mr. Grey?“
„Ich erkenne die Symptome, Miss Steele. Ich glaube,
ich leide unter derselben Krankheit“, antworte ich. Es nennt sich Verliebtheit.
„Ich dachte, ich sehe dich nie wieder,
Christian“, flüstert sie voller Kummer. Plötzlich habe ich das immense Verlangen
sie zu trösten. Ich will ihr den Kummer nehmen. „Es war gar nicht so schlimm,
wie es sich anhört“, sage ich plötzlich. Sie hebt mein Jackett, meine Schuhe
und meine Socken vom Boden auf und kommt auf mich zu.
Ich strecke meine Hand nach dem Jackett aus und
sage, „Ich nehme es schon.“ Endlich sind wir allein. Ich bin bei Anastasia, die
während dieser ganzen Tortur mein Rettungsanker war. Sie hat mir Hoffnung,
Leben, Kraft und einen Grund gegeben, zurückzukehren. Ich kann die wenigen
Zentimeter Abstand zwischen uns nicht mehr länger ertragen. Ich gehe auf sie zu
und halte sie in meinen Armen.
„Oh, Christian!“ sagt sie keuchend und schluchzt.
Die Tränen strömen über ihre Wangen auf meine Brust.
„Schh, Baby“, beruhige ich sie und küsse ihr
Haar. „In den kurzen Sekunden vor der
Landung, als mich die blanke Angst gepackt hatte,
konnte ich nur an dich denken. Du bist mein Glücksbringer, mein Engel, Ana“,
sage ich. Jetzt habe ich es laut ausgesprochen. Ich habe ihr meine größten
Ängste offenbart.
Sie schluchzt weiter an meiner Brust und
umklammert mich noch fester. „ Ich dachte wirklich, ich habe dich verloren,
Christian“, sagt sie mit gequälter Stimme. Als sie mich noch fester umschließt,
lässt sie meine Schuhe auf den Boden fallen. Wir stehen noch eine Weile in
dieser Blase da. Im Moment existiert nichts anderes, nur unsere Verbindung.
„Komm mit mir unter die Dusche“, murmele ich und
ziehe an ihrer Hand. Ich muss sie spüren. Alles an ihr! Ich brauche eine
lebensbejahende Erfahrung und nur sie kann mir diese bescheren!
„Okay“, antwortet sie und sieht mich an. Ihr
Gesicht ist gerötet und von ihren Tränen übersät. Ihre Augen sind rot vom
ganzen Weinen. Ich strecke meine Hand aus und hebe ihr Kinn mit meinen Fingern
an.
„Ana Steele, sogar tränenüberströmt bist du eine
wunderschöne Frau“, sage ich, beuge mich vor und küsse sie. „Und deine Lippen
sind so weich.“ Ich küsse sie erneut, vertiefe unseren Kuss. Sie gibt sich hin
und vereinigt sich mit mir.
„Ich muss mein Jackett ablegen“, murmele ich gegen
ihre Lippen.
„Lass es einfach fallen“, flüstert sie in meinen
Mund.
„Ich kann nicht, Baby“, sage ich und erinnere
mich an die kleine Box, die die einzige Verbindung zu ihr war. Anastasia lehnt
sich verwirrt zurück.
Ich nehme die kleine Box, die sie mir gegeben hat
hervor und zeige sie ihr. „Das ist der Grund“, sage ich. Ich hoffe, sie lässt
sie mich öffnen. Es ist 00:03. Genau genommen ist es bereits Samstag.
„Mach es auf“, flüstert sie.
„Gott sei Dank! Ich hatte gehofft, dass du das
sagst. Diese Schachtel bringt mich schon
den ganzen Tag um den Verstand“, sage ich und sie
grinst mich an.
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, jetzt, wo ich
herausfinden werde, was die kleine Box beinhaltet. Ich löse das Band und öffne
das braune Packpapier. Darin befindet sich ein rechteckiger
Plastikschlüsselanhänger. Ich halte ihn hoch und bin verwirrt, was er bedeuten
soll. Darauf befindet sich ein Bild der Seattle Skyline, es sieht aus wie ein
LED Screen. Man sieht die Space Needle und das Wort SEATTLE ist in großen
Buchstaben, die aufleuchten darauf geschrieben.
Was hat das zu bedeuten?
Ein Schlüssel zum Haus? Zu meinem Herzen? Zu
ihren Herzen? Bedeutet es, dass sie mit mir einziehen wird?
Was ist
es? Ich blicke auf den Schlüsselanhänger. Dann blicke ich sie völlig verwirrt
und fragend an.
„Dreh ihn einfach um, Christian“, flüstert sie
atemlos.
Als ich ihn umdrehe, beginnt mein Herz zu taumeln
und stoppt. Meine Augen weiten sich. In meinem ganzen Leben war ich noch nie so
glücklich! Nichts, was ich je bekommen habe, hat mich so glücklich gemacht, wie
dieser kleine, preiswerte Schlüsselanhänger. Jetzt ist er unbezahlbar und der
Schlüssel zu meinem Glück. Meine Lippen teilen sich vor Unglauben. Ich bringe
kein Wort heraus.
Das Wort ja leuchtet
auf der Rückseite des Schlüsselanhängers.
„Alles Gute zum Geburtstag, Christian“, flüstert
sie. Oh ja, das ist er wirklich! Ein verdammt guter Geburtstag!
Start
of Something Good by Daughtry
*****
2 comments:
Hi ,
WOW...ein Super Kapitel...
Der Absturz ist so detailliert Beschrieben....wirklich sehr gut geschrieben.
Auch der Weg zurück nach Seattle, und der Trucker...super!
Ich bin immer wieder fast sprachlos wie viel Mühe und Gedanken du/ihr Euch macht!
Danke
Hallo,
und wow das ist ein super schönews Kapitel, mit den ganzen details und gedanekn, ich liebe es und ich musste doch etwas schmunzeln über die liebe Ros und ihre Schuhe. :)
Ich danke euch wirklich sehr für diese tolle möglichkeit auch Christians sicht zu lesen.
So nun freu ich mich ehrlich gesagt aber auf seine Geburtstagsfeier und auf das treffen mit Elena Gott was er da wohl so denkt, ich bin so gespannt.
Ich hoffe das es bald kommt,
Danke noch mal für eure tolle arbeit und die viele mühe die ihr euch macht.
Lg sabrina
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